Frankreich: Insolvenzantragspflicht des faktischen Geschäftsführers
In einer Entscheidung vom 7. Februar 2024 (Cass. com. QPC 7-2-2024 n° 23-40.016 F-D), hat der frz. Kassationsgerichtshof kürzlich den personellen Anwendungsbereich der Insolvenzantragspflicht nach französischem Recht präzisiert und dabei stark ausgeweitet.
In diesem Fall hatte der Insolvenzverwalter einer Gesellschaft gegen den ehemaligen faktischen Geschäftsführer der Gesellschaft Klage auf Fehlbetragshaftung (responsabilité pour insuffisance d’actif, Artikel L.651-1 des französischen Handelsgesetzbuchs) erhoben und beantragt, eine strafrechtliche Sanktion (Berufsausübungsverbot) gegen den Geschäftsführer zu verhängen, weil dieser keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte.
Das mit dem Verfahren befasste Handelsgericht Toulouse legte dem Kassationsgerichtshof folgende Frage vor:
„Stehen die Bestimmungen der Artikel L 653-8, Absatz 3 und L 653-1, I-2o des Handelsgesetzbuches, die es ermöglichen, den faktischen Geschäftsführer einer juristischen Person zu bestrafen, weil er es wissentlich unterlassen hat, die Zahlungseinstellung anzumelden, obwohl er dazu nicht befugt war (sic!), im Einklang mit der Verfassung und insbesondere mit den Bestimmungen des Artikels 5 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte?“
Der Kassationsgerichtshof antwortet, dass die Frage falsch gestellt sei und erinnert daran, dass nach gefestigter Rechtsprechung ein faktischer Geschäftsführer bestraft werden kann, wenn er nicht innerhalb der gesetzlichen Frist ab der Zahlungseinstellung die Eröffnung eines Insolvenz- oder Sanierungsverfahrens beantragt hat. (Com., 6. Januar 1998, 95-18.478, Bulletin Civil 1998, IV, Nr. 6). Damit habe die Rechtsprechung „implizit und notwendigerweise“ bereits vorausgesetzt, dass ein faktischer Geschäftsführer dazu befugt ist, einen Insolvenzantrag zu stellen.
Letztlich handele es sich daher um eine Fehlinterpretation und nicht um eine ernstliche Frage der Verfassungsmäßigkeit, die daher auch nicht dem Conseil constitutionnel (französisches Verfassungsgericht) vorzulegen sei.
Über diese scharfe Rüge des vorlegenden Gerichts hinaus bezieht der Kassationsgerichtshof zwar nicht expressis verbis Stellung, ob ein faktischer Geschäftsführer berechtigt ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, allerdings verweist er darauf, dass die Antwort schon in der Vergangenheit implizit feststand und „ja“ lautete.
Kommentatoren haben bereits moniert, dass diese Entscheidung zu einer untragbaren Ausweitung des Kreises der Personen führt, die einen Insolvenzantrag stellen können. Allerdings muss unseres Erachtens zur Wirksamkeit des Insolvenzantrags im Bestreitensfall nachgewiesen werden, dass der Antragsteller sich tatsächlich als faktischer Geschäftsführer geriert hat, was nicht bei jedem beliebigen Dritten der Fall sein wird.
Diese Insolvenzantragsberechtigung des faktischen Geschäftsführers dürfte dann allerdings auch für eine Muttergesellschaft gelten, die nach französischem Recht, sofern sie sich in die Geschäftsführung der Tochter einmischt, ebenfalls als solche (juristische Person!) als faktischer Geschäftsführer der Tochtergesellschaft angesehen werden kann. Die Mutter könnte und müsste also im Fall der Insolvenz ihrer Tochter, notfalls auch gegen den Willen von deren Geschäftsführung, einen Insolvenzantrag stellen – obwohl dies in den üblichen Insolvenzantragsformularen nicht einmal vorgesehen ist.