Haftung der Geschäftsführung bei Insolvenz in Frankreich
Nach französischem Recht kann der rechtliche oder faktische Geschäftsführer einer insolventen und liquidierten Gesellschaft für etwaige Fehlbeträge persönlich haften, wenn ihm ein Geschäftsführungsfehler vorgeworfen werden kann (sog. responsabilité pour insuffisance d’actifs).
Das höchste französische Gericht hatte nunmehr Gelegenheit, den Umfang dieser Haftung klarer zu definieren. In dem entschiedenen Fall wurde eine SAS, deren Präsident eine juristische Person ohne ständigen Vertreter war, insolvent. Die SAS war eine Tochtergesellschaft von zwei deutschen Holdings. Sie wurde in Folge der Insolvenz wegen fehlender Aussichten auf eine Sanierung liquidiert. Die Realisierung der Aktiva konnte nicht die gesamten Verbindlichkeiten des Unternehmens decken, so dass, wie üblich, ein Liquidationsfehlbetrag verblieb.
Daraufhin wurde gegen den juristischen Präsidenten, seinen gesetzlichen Vertreter sowie gegen die beiden Holdings und deren gemeinsamen gesetzlichen Vertreter Haftungsklage eingereicht. Alle Beteiligten wurden durch das Berufungsgericht verurteilt, die (offenen) Verbindlichkeiten der SAS zu begleichen.
Der gesetzliche Vertreter des juristischen Präsidenten argumentierte primär, dass die Klage gegen ihn unzulässig sei, da er weder offiziell als Leiter der SAS ernannt wurde noch als ständiger Vertreter fungierte. Das Kassationsgericht wies die Revision jedoch zurück. Es stellte fest, dass die Haftung für Fehlbeträge in einem gerichtlichen Liquidationsverfahren neben der als Präsident eingesetzte juristische Person auch deren gesetzlichen Vertreter treffe, und zwar unabhängig davon, ob dieser Person als ständiger Vertreter ernannt wurde oder aber nicht.
Das Gericht ging aber noch einen Schritt weiter und verurteilte auch die Gesellschafterinnen (Holdings) und sogar deren Geschäftsführer persönlich. Die Gesellschafterinnen wurden verurteilt, weil sie sich „wie ein Geschäftsführer“ verhalten hatten und damit als faktische Geschäftsführer hafteten. Um auch die persönliche Haftung deren Geschäftsführer begründen zu können, haben die Richter einen für einige Beobachter kritischen Umkehrschluss angewandt: Wenn die Haftung einer juristischen Person auf deren Geschäftsführer durchschlage, so müsse dies auch umgekehrt gelten, d. h. der Geschäftsführer hafte auch für die Fehler der Gesellschaft, und zwar auch dann, wenn ihnen ein persönliches Verschulden nicht vorzuwerfen ist.
Während der erste Grundsatz (Durchschlagen der Haftung der juristischen Person als Organ auf die natürlichen Geschäftsführer dieses Organs) noch geltendem französischen Recht entspricht, war der Umkehrschluss alles andere als naheliegend, führt in der Praxis für Geschäftsführer allerdings in Zukunft zu einer verstärkten Haftung.
Praxistipp:
Es wird abzuwarten sein, ob sich diese durchaus strenge Rechtsprechung in Frankreich durchsetzen wird. Angesichts der erheblichen Risiken, die sie auch für Organe von Muttergesellschaften notleidender französischer Unternehmen mit sich bringt, werden in Zukunft mögliche Insolvenzen noch langfristiger zu planen und dokumentieren sein. Daneben sind Geschäftsführer immer gut beraten, auch entsprechende Versicherungen zur Deckung der persönlichen Haftung (sog. D&O-Versicherungen) abzuschließen.
23.01.2024