Haftung wegen Mitarbeitgeberschaft bei betriebsbedingten Kündigungen
Haftung wegen Mitarbeitgeberschaft bei betriebsbedingten Kündigungen
In aktuellen Entscheidungen bestätigt der französische Kassationshof seine einschränkende Rechtsprechung zur Mitarbeitgeberschaft (co-emploi), verweist gleichzeitig allerdings auf eine mögliche außervertragliche Haftung.
Risiko einer Haftung wegen einer Mitarbeitgeberschaft wird zunehmen reduziert
Das Risiko für eine Muttergesellschaft, neben ihrer Tochtergesellschaft als Mitarbeitgeberin anerkannt und damit Schadensersatzansprüchen gesamtschuldnerisch ausgesetzt zu werden, besteht seit dem „Jungheinrich-Urteil“ vom 18. Januar 2011. Das Gericht hatte entschieden, dass eine Muttergesellschaft immer dann als weiterer Arbeitgeber und damit Schuldner von Schadensersatz in Betracht kommt, wenn sie sich stark in die Geschäfts- und Personalleitung der französischen Tochtergesellschaft eingemischt hatte. Diese Rechtsprechung war insbesondere immer dann von Relevanz, wenn die Tochtergesellschaft im Rahmen einer Insolvenz alle Arbeitnehmer entlassen musste, da sich diese dann an der Muttergesellschaft schadlos halten konnten.
Der Kassationshof hatte indes bereits 2014 in seinem „Molex-Urteil“ die Möglichkeiten eines Rückgriffs auf die Muttergesellschaft eingeschränkt[1]. So war „eine über die notwendige Koordinierung wirtschaftlicher Handlungen zwischen Unternehmen einer selben Unternehmensgruppe hinausgehende Beherrschung (…), die zu einer Vermischung von Interessen, Aktivitäten und Unternehmensführung führt“ notwendig, um eine Mitarbeitgeberschaft zu begründen.
Eine weitere Einschränkung dieses Modells erfolgte zwei Jahre später[2], so dass seither zusätzlich eine „unnormale Vermischung“ hinsichtlich der finanziellen und sozialen Abläufe der Tochtergesellschaft dargelegt werden musste.
Der Ausnahmecharakter der Mitarbeitgeberschaft wurde nunmehr vom Kassationshof in zwei aktuellen Entscheidungen vom 24. Mai 2018 bestätigt[3].
Eine Mitarbeitgeberschaft wurde in beiden Fällen abgelehnt, weil der Tochtergesellschaft Entscheidungsbefugnisse im Bereich der Rechnungsführung, der Personalverwaltung nichtleitender Angestellter, der Einhaltung der rechtlichen Vorschriften und der Produktionsabläufe verblieben.
Die Ernennung und Kontrolle leitender Angestellter durch die Muttergesellschaft sowie die technische Hilfe bei der Buchhaltung genügten für die Annahme einer Mitarbeitgeberschaft nicht, weil diese nach Auffassung der Richter im Bereich einer notwendigen Koordinierung im Konzern lägen.
Achtung: Eine außervertragliche Haftung ist nicht ausgeschlossen
In zwei weiteren Entscheidungen vom selben Tag[4] verdeutlichte der Kassationshof allerdings die Möglichkeit einer außervertraglichen (also deliktischen) Haftung der Muttergesellschaft, deren Tochtergesellschaft sich im Insolvenzverfahren befindet.
Eine solche Haftung sei immer dann anzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine Mitarbeitgeberschaft nicht vorliegen, aber dennoch ein Verschulden an der kritischen wirtschaftlichen Lage der Tochtergesellschaft nachgewiesen werden kann, die zu den betriebsbedingten Kündigungen geführt habe.
Für die Durchsetzung eines außervertraglichen Anspruchs ist allerdings weder das Arbeitsgericht noch das Handelsgericht zuständig, sondern die ordentlichen Gerichte des Tribunal d’Instance (Amtsgericht) und Tribunal de Grande Instance (Landgericht).
PRAXISTIPP:
Ausspruch von Massenkündigen aus wirtschaftlichen Gründen ist genau zu prüfen, ob eine Mitarbeitgeberschaft vorliegt oder aber, ob der Muttergesellschaft die wirtschaftliche Schieflage der Tochtergesellschaft vorzuwerfen ist. Es sollte insbesondere verhindert werden, Gesellschafterdarlehen zu kündigen, deren Rückzahlung zu verlangen und so die Insolvenz der Tochtergesellschaft in Frankreich auszulösen. Ferner sollte auch vermieden werden, werthaltige Assets vor einer Restrukturierung kostenfrei nach Deutschland zu transferieren. Auch sollte vorab genau dokumentiert werden, welche Schritte die deutsche Muttergesellschaft unternommen hat, um der Tochtergesellschaft wieder ein wirtschaftliches Arbeiten zu ermöglichen.
Auch wenn die Rechtsprechung immer noch keinen Freifahrtschein für deutsche Muttergesellschaften im Umgang mit ihrer notleidenden Tochtergesellschaft gibt, dürfte das Haftungsrisiko – jedenfalls bei sorgsamer Planung von Restrukturierungen – erheblich sinken, zumal für die deliktischen Ansprüche nicht mehr die (Arbeitnehmern eher wohlgesonnenen) Arbeitsgerichte sondern die Zivilgerichte zuständig sind.
[1] Siehe hierzu unseren Beitrag vom 07.11.2016.
[2] Siehe hierzu unseren Beitrag vom 07.11.2016.
[3] Cass. soc., 24. Mai 2018, Nr. 17-15.630 und Nr. 16-18.621.
[4] Cass. soc., 24. Mai 2018, Nr. 17-12.560 und Nr. 16-22.881.
05.07.2018