Sondermeldung zur neuen Arbeitsrechtsreform: Frankreich wird arbeitgeberfreundlicher
Sie wurden mit großer Spannung erwartet: Die Verordnungen, die das Ausmaß der neu anstehenden Arbeitsrechtsreform festlegen, wurden am 31. August 2017 veröffentlicht.
Anfang August hatte das französische Parlament der Regierung freie Hand gegeben, den Inhalt dieser schon im Wahlkampf des inzwischen gewählten Präsidenten Macron angekündigten Reform mittels Verordnungen zu regeln. Nach mehreren Treffen mit den Sozialpartnern steht nun fest, wie sich das französische Arbeitsrecht künftig ändern soll.
Folgende Änderungen sind zu erwarten:
Mehr Rechtssicherheit im Bereich der Kündigungen
- Der Schadensersatzanspruch im Falle einer unbegründeten Kündigung erhält einen klaren Rahmen
Es ist nicht der erste Versuch von Emmanuel Macron, den Schadensersatzanspruch, den der Mitarbeiter im Falle einer unbegründeten Kündigung in Frankreich geltend machen kann, zu deckeln (siehe hierzu unsere Meldungen), dieses Mal könnte es aber klappen.
Die Regierung führt eine Tabelle ein, die Unter- und Obergrenzen für den Schadensersatzanspruch eines Mitarbeiters je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit festlegt.
Nach bisheriger Rechtslage gab es für die Richter bei der Festlegung des Schadensersatzes lediglich einen Maßstab zu beachten: Eine Untergrenze von 6 Monaten für Mitarbeiter mit mehr als 2 Jahren Betriebszugehörigkeit, die von größeren Betrieben (über 10 Mitarbeiter) entlassen wurden.
Mit der Tabelle lässt sich das Risiko einer Kündigung nun viel klarer einschätzen.
Die Oben genannte Untergrenze wird schlichtweg halbiert: Sie liegt für Mitarbeiter von größeren Betrieben mit mehr als 2 Jahren Betriebszugehörigkeit nur noch bei 3 Monaten. Für Mitarbeiter kleinerer Betriebe gab es bisher keine Untergrenze. Nun wurde eine eingeführt, die allerdings bescheiden bleibt: Von einem halben Monat nach einem Jahr erhöht sie sich auf maximal 2,5 Monate nach 9 Jahren.
Die Obergrenzen gelten für alle Unternehmen gleich: Die Deckelung liegt im ersten Jahre bei einem Monat und steigt um ca. ein Monatsgehalt pro weiteres Betriebszugehörigkeitsjahr bis 10 Jahren. Danach erfolgt die Staffelung im halben Gehaltstakt und erreicht nach 29 Jahren den Höchstbetrag: 20 Monatsgehälter.
Im Gegenzug für diese Rechtssicherheit wurde die allgemein gesetzliche und auch bei einer begründeten fristgerechten Kündigung zu zahlende Kündigungsentschädigung (sog. indemnité de licenciement) von bisher 20 % auf 25 % eines Monatsgehalts pro Betriebszugehörigkeitsjahr erhöht.
- Der Arbeitgeber darf beim Kündigungsschreiben Fehler begehen
Bisher waren die Folgen einer unzureichenden Erläuterung der Gründe im Kündigungsschreiben drastisch: Die Kündigung galt automatisch als unbegründet. Von nun an führt ein unvollständiges Kündigungsschreiben zu milderen Folgen und gilt nur noch als Formfehler. Gleichwohl ist dringend anzuraten, die Kündigungsgründe umfassend zu erläutern.
- Die Kündigungsschutzklage muss schneller eingereicht werden
Statt wie bisher 2 Jahre Zeit zu haben, um über eine Klage nachzudenken, muss der Arbeitnehmer nunmehr innerhalb eines Jahres gegen die Kündigung vorgehen.
Von der 3-Wochenfrist des deutschen Rechts ist man gleichwohl immer noch weit entfernt.
Eine Vereinfachung der betriebsbedingten Kündigung
- Internationale Konzerne können auch dann betriebsbedingt in Frankreich entlassen, wenn es den ausländischen Schwestergesellschaften gut geht
Auch diese wesentliche Neuerung im französischen Arbeitsrecht kommt im zweiten Anlauf: Sie war bereits in der letzten Arbeitsrechtsreform 2016 geplant, wurde aber aufgrund der starken Unruhen aufgegeben.
Sollte sie dieses Mal durchgesetzt werden, wird sie für internationale Konzerne große Vorteile gegenüber der bisherigen Rechtslage bringen: Nach bisher geltendem französischen Recht mussten die wirtschaftlichen Ursachen, die eine betriebsbedingte Kündigung (Restrukturierung) begründen können, auf Konzernebene geprüft werden, sie mussten also nicht nur bei der französischen Tochtergesellschaft, sondern auch bei allen anderen Schwestergesellschaften des Konzerns, die demselben Tätigkeitsbereich angehörten – auch außerhalb Frankreichs - vorliegen, was Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen erheblich erschwert bzw. verteuert hat.
Mit der jetzigen Reform erfolgt die Prüfung der wirtschaftlichen Ursachen nur noch auf nationaler Ebene: Es wird demnach nur die Lage der Gesellschaft, die restrukturieren möchte, und die der eventuellen Schwestergesellschaften in Frankreich aus demselben Tätigkeitsbereich geprüft.
Hierdurch werden betriebsbedingte Kündigungen im internationalen Konzern erheblich vereinfacht.
- Das Angebot von alternativen Stellen muss nicht mehr personalisiert sein
Das Angebot von Stellen innerhalb des Unternehmens und des Konzerns, das im Rahmen der Pflicht, vor der betriebsbedingten Kündigung nach alternativen Stellen zu suchen, notwendig werden kann, muss nicht mehr personalisiert werden: Eine Liste der zur Verfügung stehenden Stellen z. B. im Intranet der Gesellschaft reicht aus.
Nur noch eine Personalvertreterinstanz im Betrieb
Die derzeit drei bestehenden Instanzen - die Personalvertreter (Délégués du personel), der Betriebsrat (Comité d´entreprise) und der Hygiene und Sicherheitsrat (Comité d´hygiène, de sécurité et des conditions de travail) - sollen in einer einzigen Instanz verschmolzen werden: dem Comité social et économique.
Diese Instanz wird ab 11 Mitarbeitern gewählt und ihre Aufgaben und Rechte variieren je nach Größe des Unternehmens. Mitbestimmungsrechte wie in Deutschland bleiben aber weiterhin ausgeschlossen.
Die Möglichkeit für KMU und Kleinstunternehmen, Betriebsvereinbarungen per Referendum einzuführen
Unternehmen mit weniger als 11 Mitarbeitern, bzw. weniger als 20 Mitarbeitern, wenn keine Personalvertreter gewählt worden sind, können Betriebsvereinbarungen über alle möglichen Themen direkt mit der Belegschaft abschließen.
Dies dürfte eine interessante Aussicht für diese Unternehmen darstellen, die bisher wegen fehlendem Verhandlungspartner oft nicht die Möglichkeit hatten, betriebseigene Regeln zu verhandeln.
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Das skizzierte Reformvorhaben soll Anfang Oktober in Kraft treten. Die erste Hürde wurde bereits überwunden: Das oberste französische Verfassungsgericht (Conseil Constitutionnel) hat das Reformgesetz von Anfang August am 7. September für gültig erklärt.
Änderungen könnten nur im Falle einer starken gewerkschaftlichen Mobilisierung in Frage kommen. Der erste nationale Streik ist für den 12. September angekündigt. Aber spätestens seitdem der Generalsekretär einer der kämpferischsten Gewerkschaft – die Gewerkschaft Force Ouvrière - angekündigt hat, nicht gegen den Text vorgehen zu wollen, ist mit einem geringen Einsatz zu rechnen.
Wir halten Sie selbstverständlich über den weiteren Fortgang des Reformvorhabens informiert.
11.09.2017