Conciliation – Insolvenzprävention in Frankreich am Beispiel des Falls Casino
Der Versuch der Sanierung der mit 6 Mrd. € hoch verschuldeten französischen Unternehmensgruppe Casino (Monoprix, Franprix, Leader Price u.a.) ist von großer Bedeutung für den französischen Lebensmitteleinzelhandel und zugleich ein interessantes Beispiel für ein Verfahren zur Insolvenzprävention in Frankreich.
Ende Mai 2023 eröffnete das Pariser Handelsgericht ein Schlichtungsverfahren („conciliation“) über das Vermögen der Casino Guichard-Perrachon SA und mehrerer Tochtergesellschaften. Dem Lebensmittel-Einzelhändler macht der inflationsbedingte Umsatzrückgang schwer zu schaffen.
Ein von dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky geführtes Konsortium soll der Casino-Gruppe nun einen Ausweg aus der finanziellen Misere eröffnen: Die Investoren sollen insgesamt 1,2 Mrd. frisches Geld zur Erleichterung der Schuldenlast einbringen und eine Umwandlung von Schulden in Kapital mittragen, so dass Kretinsky die Kontrolle über die Unternehmensgruppe gewinnt.
Wir nehmen dies zum Anlass, das Verfahren der conciliation vorzustellen.
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Das Schlichtungsverfahren („conciliation“)
Die conciliation gehört zusammen mit dem ad hoc-Verfahren und der sauvegarde zu den Instrumenten der Insolvenzprävention nach französischem Recht. Es handelt sich um ein weitgehend vertrauliches Verfahren, das vom Handelsgericht nur auf Antrag eines (in der Regel noch nicht insolventen – dazu unten IV.) Unternehmens eröffnet wird.
Als Grund für den Antrag kann das Unternehmen bestehende oder vorhersehbare Schwierigkeiten rechtlicher, wirtschaftlicher oder finanzieller Art anführen. Ziel ist es, eine Einigung (Vergleich) gezielt mit einzelnen oder aber mit allen Gläubigern bzw. Geschäftspartnern zu finden, um die Schwierigkeiten zu beheben. Die conciliation hat in der Regel eine Neuverhandlung von Schulden (Zahlungsfristen, Zinsen, Teilverzichte), insbesondere von Bankkrediten zum Ziel, oft gekoppelt mit der Beschaffung neuer Investitionen, sowie seltener Vereinbarungen mit Kunden oder Zulieferern, etwa bei drohendem Ende einer Geschäftsbeziehung.
Häufig dient eine conciliation auch der Vorbereitung einer sanierenden Übertragung des Unternehmens unter Geheimhaltung der Vorbereitungsphase, im Rahmen eines Pre-Pack-Verfahrens. Diese in Frankreich schon 2014 vom Gesetzgeber eingeführte Möglichkeit eines durch eine conciliation vorbereiteten Kaufs aus der Insolvenz korrespondiert mit dem 2-Phasen-Modell, das der Richtlinienentwurf „Insolvency III“ vom 7. Dezember 2022 zur EU-weiten Einführung eines Pre-Pack-Verfahrens vorsieht, der unter anderem von der französischen Rechtslage inspiriert sein dürfte. In unserem Artikel Unternehmens(ver)kauf aus der Insolvenz in Frankreich – prepack cession finden Sie mehr zu diesem Verfahren.
Das Gericht ernennt bei Eröffnung des Verfahrens einen oder mehrere Schlichter („conciliateurs“), wobei der Schuldner die Amtsträger persönlich auswählen kann. Der conciliateur ist bei der Gestaltung der Verhandlungen während des Verfahrens weitgehend frei.
Die conciliation ist auf eine maximale Dauer von vier Monaten beschränkt, um den Verhandlungselan der Parteien zu konzentrieren und den Parteien bewusst zu machen, dass weitere Schritte (siehe dazu unten III.) drohen, wenn nicht zügig ein Vergleich gefunden wird. Das Verfahren kann auf Antrag des conciliateurs um einen weiteren Monat verlängert werden, um erfolgversprechende Verhandlungen noch zum Abschluss zu bringen.
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Vertraulichkeit – so viel wie möglich, weniger wenn nötig
Jeder, der an der conciliation beteiligt ist oder von dem Verfahren amtlich Kenntnis erlangt, ist zur Vertraulichkeit verpflichtet. Die während des Verfahrens vorgelegten Informationen, etwa über die Vermögenslage des Schuldners, müssen vor allem in seinem Interesse von allen Beteiligten streng vertraulich behandelt werden (siehe auch unseren Artikel zur Vertraulichkeit vorinsolvenzlicher Verfahren in Frankreich). Die Vertraulichkeit dient in erster Linie dazu, die Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Zeichnet sich ein Vergleich ab, kann es im Interesse des betroffenen Unternehmens oder auch der Gläubiger sein, diesen offiziell zu machen.
Im Gegensatz zum Insolvenzverfahren erfolgt grundsätzlich erst einmal keine Bekanntmachung des Verfahrens in öffentlichen Registern wie dem BODACC und selbst der vom Gericht festgestellte („constatation“) Vergleich wird nicht publiziert.
Nur wenn das betroffene Unternehmen aus bestimmten Gründen eine offizielle Bestätigung („homologation“) des Vergleichs durch das Gericht beantragt, wird sein Inhalt und damit die Existenz des Verfahrens insgesamt veröffentlicht. Voraussetzungen für die öffentliche gerichtliche Bestätigung des Vergleichs sind:
- Das betroffene Unternehmen ist nicht insolvent oder die Insolvenz wird durch den Inhalt des Vergleichs behoben.
- Der Inhalt des Vergleichs ermöglicht dem Unternehmen nach Auffassung des Gerichts die Fortführung.
- Der Vergleich verletzt nicht die Interessen der an dem Vergleich nicht beteiligten Gläubiger.
Die homologation und damit Veröffentlichung der Vereinbarung ist eine Voraussetzung für die Anwendung des sog. New-Money-Vorrechts (dazu unten IV.). Sie ermöglicht zudem eine Absicherung der Vereinbarung sowie vorangegangener Rechtsgeschäfte gegen Insolvenzanfechtungen: Wird später ein Insolvenzverfahren eröffnet, darf eine Insolvenzanfechtung nicht in die Zeit vor Bestätigung der Vereinbarung durch das Gericht zurückreichen (Ausnahmen ggf. bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten).
Manche Schuldner gehen die Kommunikation über die conciliation dem gegenüber erstaunlich offensiv an, möglicherweise weil der Weg zur homologation vorgezeichnet ist. So auch im Fall Casino: Die Unternehmensgruppe kommunizierte auf seiner Internetseite von Anfang an offen über das Verfahren und auch die Presse setzt sich ausgiebig mit dem Verfahrensstand auseinander.
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Und ist der Gläubiger nicht willig…
Der Abschluss eines Vergleichs im Rahmen der conciliation setzt grundsätzlich das Einverständnis aller Parteien voraus.
In ca. der Hälfte der Fälle gelingt in der Praxis eine Einigung: Den Parteien ist bewusst, dass als nächste Eskalationsstufe ansonsten oft eine sauvegarde accélérée oder gar ein redressement drohen kann, wo das Gericht unter bestimmten Bedingungen schuldnerfreundliche Zahlungsbedingungen oder sogar Schuldenschnitte entscheiden kann, auch wenn nicht alle Gläubiger zustimmen. Diese Eskalation wird vom conciliateur gezielt eingesetzt. Im Grunde wird schon während der conciliation mit der Abstimmungsschablone des Verfahrens der sauvegarde accélérée gearbeitet und argumentiert. Insofern müssen dem Vergleich aus strategischer Sicht von den Gläubigerklassen, die innerhalb der Klasse mit 2/3-Mehrheit nach Forderungsbeträgen abstimmen, lediglich einzelne Klassen zustimmen. Dabei kommt den gesicherten Gläubigern und denen, die im Fall einer Abwicklung auf eine Befriedigung rechnen können, besondere Bedeutung zu.
Die ablehnende Fraktion der oft ungesicherten Gläubiger möge ihr Heil dann in einer unmittelbar anschließenden sauvegarde accélérée suchen, wo sie in der Abstimmung über einen Sanierungsplan absehbar unterliegen werden. Dieses Verfahren, das von dem cross-class cram down im US-amerikanischen Recht inspiriert ist, ermöglicht es unter bestimmten, gläubigerschützenden Bedingungen, den Minderheitsgläubigern den Plan aufzuzwingen, den sie im Rahmen der conciliation noch abgelehnt hatten.
Mit den ungesicherten Gläubigern, die bei einer Vergleichsbetrachtung mit einer Abwicklung oder einem Verkauf aus der Insolvenz ohnehin kein Geld zu erwarten haben, wird hart umgesprungen, wie im Fall von Casino. Sie können vielleicht einen für sie nachteiligen Vergleich verweigern, jedoch einen Rettungsplan im Rahmen einer sauvegarde accélérée letztlich nicht verhindern, bei dem sie ihre Forderungen abschreiben müssen. Hintergedanke ist, dass die Gläubiger, die nicht in diesem Sinne „in the money“ sind, eine im Interesse der anderen Stakeholder liegende Rettung des Unternehmens durch ihr Abstimmungsverhalten nicht blockieren können sollen.
So zeigt sich eine ausdifferenzierte Struktur der präventiven Verfahren im französischen Recht. Diese reichen von anfänglicher Handlungsfreiheit über eine allmähliche Eskalation und Formalisierung bis hin zu Zwangsmaßnahmen gegen den Willen einzelner Gläubigergruppen. Dieser „Instrumentenkasten“ erweist sich in der Praxis als sehr geeignet, um eine interessengerechte Lösung für das Schuldnerunternehmen unter im Wesentlichen risikogerechter Behandlung der Gläubigerklassen zu finden.
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Vorteile des Verfahrens der conciliation für Schuldner und Gläubiger
Ein Nachteil der conciliation dürften die nicht unerheblichen Verfahrens- und Beratungskosten darstellen, weshalb sich das Verfahren in erster Linie für größere Unternehmen eignet, oder für Fälle, in denen eine wirtschaftlich vielversprechende Sanierungsperspektive einen kooperationsbasierten Ansatz erfordert.
Erhebliche Vorteile der conciliation sind die Flexibilität und Vertraulichkeit des Verfahrens, sowie
für den Schuldner:
- Die Geschäftsführung leitet das Unternehmen während des Verfahrens autonom. Es besteht kein Automatismus, dass im weiteren Verlauf ein Insolvenzverfahren eröffnet werden muss.
- Das Risiko von Rufschäden und Informationsabflüssen ist durch die Vertraulichkeit des Verfahrens und der während des Verfahrens erstmals vorgelegten Informationen begrenzt.
- Ein Schuldner hat die Möglichkeit, einen Antrag auf conciliation noch bis zu 45 Tage nach seiner Zahlungsunfähigkeit zu stellen, mit dem Ziel, dass die Zahlungsunfähigkeit durch die Vereinbarung beseitigt wird und so ein Insolvenzverfahren im letzten Moment noch abgewendet wird, obwohl das Unternehmen schon empfindlich lang insolvenzreif ist.
- Das Gericht kann für die Verfahrensdauer einen begleitenden Zahlungsaufschub / eine Vollstreckungssperre anordnen.
- Drittinsolvenzanträge sind während der Verfahrensdauer gesperrt.
- Staatliche Stellen (Fiskus, URSSAF) akzeptieren leichter Schuldenschnitte.
- Die Rückwirkung der Insolvenzanfechtung wird durch einen homologierten Vergleich begrenzt.
für die Gläubiger:
- New-Money-Vorrecht für neue Investitionen im Rahmen eine vom Gericht bestätigten Vergleichs: im Fall einer späteren Insolvenz wird das neu eingeschossene Geld privilegiert behandelt und hat einen hohen Rang, gleich nach den Verfahrenskosten und den Arbeitslöhnen.
- Der Vergleich beruht auf dem Einverständnis aller Gläubiger. Das Gericht darf keine haircuts durchsetzen.
- Oft ergibt die conciliation eine weitaus bessere Quote für die Gläubiger als die, die im Rahmen eines Insolvenzverfahrens (redressement oder liquidation judiciaire) erreicht werden kann, da Probleme früher adressiert werden und Schuldenschnitte möglich sind.