Faktische Geschäftsführung und Verantwortungsdelegation im französischen Gesellschaftsrecht
Das Ausmaß der Haftung von faktischen Geschäftsführern in- und außerhalb der Insolvenz der Gesellschaft unterscheidet sich in Frankreich wesentlich vom deutschen Recht. So können unter bestimmten Voraussetzungen sowohl die Organträger der Muttergesellschaft als auch die Muttergesellschaft selbst als juristische Person (sic!) faktische Geschäftsführer ihrer französischen Tochtergesellschaft sein und als solche haften.
Ein aktuelles Urteil des französischen Kassationsgerichtshofs beschäftigt sich mit der Frage, wann Organträger der Muttergesellschaft faktische Geschäftsführer der Tochtergesellschaft sein und als solche haften können.
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Zur Einordnung: Haftungsrisiken faktischer Geschäftsführer, z. B. nach französischem Insolvenzrecht
Faktische Geschäftsführer können etwa nach Art. L651-2 Code de commerce für in der Insolvenz auftretende Fehlbeträge haften. Diese Haftung ist der persönlichen Haftung von insolvenzantragspflichtigen Organträgern für Zahlungen nach Insolvenzreife nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO entfernt ähnlich. Im französischen Recht ist dieser Haftungstatbestand deutlich weitreichender ausgestaltet, nämlich als Haftung von satzungsmäßigen oder faktischen Geschäftsführern gegenüber der Masse, für Geschäftsführungsfehler, die zu einem Fehlbetrag in der Insolvenz des Unternehmens geführt oder beigetragen haben, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt sie begangen wurden.
- Frankreich: Insolvenzantragspflicht des faktischen Geschäftsführers
- Frankreich: Haftung des faktischen Geschäftsführers in der Insolvenz
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Muttergesellschaft, die zugleich Geschäftsführer der französischen Tochtergesellschaft ist (sic), benennt einen ständigen Vertreter
Nach französischem Recht ist es möglich, dass juristische Personen Organträger, etwa satzungsmäßige Geschäftsführer einer SAS, sein können. Diese „geschäftsführende Gesellschaft“ wird oft die (ausländische) Muttergesellschaft sein. Der Geschäftsführer dieser „geschäftsführenden Gesellschaft“ wiederum wird häufig die Voraussetzungen dafür erfüllen, dass er persönlich als faktischer Geschäftsführer der SAS gilt, da er als Organ der „geschäftsführenden Gesellschaft“ meist auch die Geschäftsführungsaufgaben für die französische Tochter wahrnehmen wird.
Allerdings kann die „geschäftsführende Gesellschaft“ nach französischem Recht förmlich einen ständigen Vertreter („représentant permanent“) ernennen, d.h. eine natürliche Person, die die Geschäftsführungsaufgaben für die Tochter wahrnimmt, und die von ihrem Geschäftsführer personenverschieden sein kann. Bei einer Gesellschaft mit der Rechtsform société anonyme (SA) ist es sogar verpflichtend, einen représentant permanent zu ernennen, wenn eine juristische Person zu ihrem Organträger (administrateur) ernannt wird (art. L. 225-20 Code de commerce). Das französische Handelsgesetzbuch sieht für diesen Fall ausdrücklich vor, dass diese Person dann persönlich haftet – gesamtschuldnerisch mit der „geschäftsführenden Gesellschaft“.
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Inhalt der vorliegenden Entscheidung des Kassationsgerichtshofs
Bei einer SAS (Société par actions simplifiée) ist die Ernennung eines solchen représentant permanent fakultativ möglich. Die vorliegende Entscheidung zeigt, dass diese Gestaltungsmöglichkeit zu einer deutlichen Veränderung der Haftungsstruktur führt.
Der Kassationsgerichtshof hat darin entschieden, dass Vertreter der geschäftsführenden Gesellschaft, die nicht ständiger Vertreter sind, nicht im Rahmen der Fehlbetragshaftung in Anspruch genommen werden können, da diese nach dem Wortlaut von Art. 651-1 des Code de commerce Anwendung findet auf satzungsmäßige und faktische Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin sowie, wenn der satzungsmäßige Geschäftsführer eine juristische Person ist, auf deren ständigen Vertreter.
Ist ein représentant permanent benannt, weil die Satzung der SAS dies vorsieht, haften andere satzungsmäßige Geschäftsführer außer dem représentant permanent also nicht allein schon aufgrund ihres Amtes als faktische Geschäftsführer der Tochter.
Praxishinweise:
- Der représentant permanent einer SA oder SAS setzt sich besonderen Haftungsrisiken aus. Ggf. sollte überprüft und sichergestellt werden, dass er von einer D&O-Versicherung mitversichert ist, auch wenn er kein Geschäftsführeramt bei der Muttergesellschaft inne hat.
- Die „Schutzwirkung“ der Benennung eines représentant permanent für die Haftung anderer Organträger ist allerdings nicht unbegrenzt: Kann man einem Vertreter der geschäftsführenden Gesellschaft im Einzelfall eine Einmischung in die Geschäftsführung der Tochter nachweisen, kann er nach allgemeinen Regeln als faktischer Geschäftsführer der geführten Gesellschaft haften.
21.03.2025