Kündigung freier Rechtsanwälte in Frankreich
Der französische Kassationshof (Cour de cassation) hat in seinem Urteil vom 15. Mai 2024 (Civ. 1re, n° 22-24.739) wichtige Klarstellungen zum Status des freien Rechtsanwalts in Frankreich getroffen. Dieses Urteil befasst sich insbesondere mit der Frage, ob ein Vertrag zur freien Mitarbeit während der Probezeit bei Krankheit beendet werden kann und was als schwerwiegender Verstoß gegen berufliche Regeln gilt.
Sachverhalt
Eine französische Anwaltskanzlei schloss mit einer Anwältin einen Vertrag zur freien Mitarbeit mit einer dreimonatigen Probezeit ab. Während die Anwältin krankgeschrieben war, kündigte die Kanzlei den Vertrag. Die Anwältin legte gegen diese Kündigung Beschwerde ein. Das Berufungsgericht entschied, dass die Kündigung während der Krankheit nicht zulässig sei, da kein schwerwiegender beruflicher Verstoß vorlag. Die Rechtsanwaltskanzlei legte daraufhin Revision ein.
Entscheidung der Cour de cassation
Die Cour de cassation bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts und stellte zwei wesentliche Punkte klar:
- Kündigungsschutz während der Krankheit auch in der Probezeit:
- Die Cour de cassation entschied, dass der Schutz vor Kündigung gemäß Artikel 14.4.2 des Règlement Intérieur National (RIN – Standesordnung der französischen Rechtsanwälte) auch während der Probezeit gilt. Dieser Artikel besagt, dass die Kündigung eines Vertrags zur freien Mitarbeit während einer gesundheitlich bedingten Abwesenheit des Anwalts nicht erfolgen kann, es sei denn, es liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen berufliche Regeln vor. Die Entscheidung der Cour de cassation erweitert diesen Schutz auch auf die Probezeit.
- Definition des schwerwiegenden beruflichen Verstoßes:
- Das Gericht definierte „schwerwiegender Verstoß gegen berufliche Regeln“ als jede Verletzung gesetzlicher, regulatorischer oder vertraglicher Verpflichtungen, die die grundlegenden Prinzipien des Anwaltsberufs beeinträchtigt. In diesem Fall wurden der Anwältin mehrere Verfehlungen vorgeworfen, wie z. B. Abwesenheiten und mangelnde Zusammenarbeit. Die Cour de cassation befand jedoch, dass diese Verfehlungen nicht als schwerwiegende Verstöße anzusehen seien und bestätigte damit die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Kündigung des Vertrags zur freien Mitarbeit unzulässig war.
10.06.2024