Frankreich: Die Mitarbeitgeberschaft ist nicht tot!
Oh Schreck! Nach einigen Jahren der Ruhe, die zum Glauben führten, dass der französische Kassationshof sich von seiner für Konzerne sehr beunruhigenden Erfindung des Coemploi (Mitarbeitgeberschaft von 2 Unternehmen) verabschiedet hatte, wurde das Konzept nun in einer Entscheidung vom 23. November 2022>> wiederbelebt und erneut angewendet.
Zur Erinnerung: Das 2011>> entwickelte Konzept birgt die Möglichkeit, eine Muttergesellschaft (manchmal sogar eine Schwestergesellschaft) als zweiten Arbeitgeber zu betrachten, wenn sie sich zu sehr in die Leitung ihrer Filiale einmischt.
Es wird von Mitarbeitern zahlungsunfähiger Unternehmen geltend gemacht, um einen alternativen Zahler zu finden.
Eine zweite unangenehme Rechtsfolge dieses Konzepts ist die Bewertung der Tätigkeitseinstellung als Grund für eine betriebsbedingte Kündigung als unzureichend, wenn die Muttergesellschaft ihre eigene Tätigkeit fortführt.
Gerade Konzerne mit Matrixorganisation sind stark von der Mitarbeitgeberschaft bedroht.
Ursprünglich auf das vage und weit auslegbare Kriterium der Vermischung von Interessen, Aktivitäten und Leitung zwischen zwei Unternehmen gestützt, wurde die Spannweite des Begriffs mehr und mehr minimiert>> und 2020>> auf Konstellationen reduziert, in denen eine permanente Einmischung des einen Unternehmens in die wirtschaftliche und soziale Verwaltung des anderen, die zum völligen Verlust seiner Handlungsautonomie führt, vorliegt.
Dabei wurde betont, dass die Einmischung über die notwendige Koordinierung der wirtschaftlichen Handlungen von zwei Unternehmen eines Konzerns und die wirtschaftliche Dominanz, die die Konzernbindung hervorrufen kann, hinaus gehen muss.
Damit galt das Konzept als begraben und wurde seitdem auch nicht mehr geltend gemacht.
Bis ein Mitarbeiter einer französischen Transportfirma die belgische Muttergesellschaft verklagte, was zum Urteil vom 23. November 2022 führte, in dem das Vorliegen einer Mitarbeitgeberschaft erneut bejaht wurde.
Die Gegebenheiten der Angelegenheit deuteten allerdings auf eine besonders starke Einmischung. In diesem Fall hatte die französische Tochter keinen eigenen Kunden mehr, befand sich in völliger wirtschaftlicher Abhängigkeit von der belgischen Firma, die die Transporte an sie weitervergab und die Touren der französischen Fahrer plante, sogar deren Krankheitsurlaub verwaltete und die Kunden über deren Ankunftszeiten informierte, so dass der Betriebsleiter keine Entscheidungsbefugnis mehr hatte.
Besonders hervorgehoben wurde die Tatsache, dass die Mutter ihre Tochtergesellschaft bei der Verwaltung ihres Personals sowohl in den individuellen als auch in den kollektiven Beziehungen ersetzt hatte. Auch die Übernahme der Finanzverwaltung und Buchhaltung der Tochtergesellschaft spielte eine Rolle.
Praxistipp
Die vorliegende Gelegenheit stellte einen Extremfall an Einmischung dar. Nichtsdestotrotz ist es ratsam, sich weiterhin vor dem Konzept der Mitarbeitgeberschaft zu hüten und auf eine gewisse Trennung der Leitung und Autonomie der französischen Tochtergesellschaft zu achten. Die Einmischung in Personalsachen könnte insbesondere risikoreich sein. Hier ist es wichtig – zumindest nach außen hin – dafür zu sorgen, dass die Entscheidungen von der Tochter getroffen werden.
15.12.2022