Die Rolle des französischen Anwalts in der ökologischen Transformation
Das französische Conseil national des barreaux (CNB) beschäftigte sich am 12. September 2025 mit der Frage, wie sollte sich die französische Anwaltschaft in der Zeit des ökologischen Wandels aufstellen sollte, und welche neuen Aufgaben und Verantwortungen ihr dabei erwachsen.
Zur Beantwortung dieser Frage wurde ein umfassender Leitfaden einstimmig angenommen, der die Position und Möglichkeiten des Anwalts in einer umweltbewussten Gesellschaft beleuchtet.
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Hintergrund: Die anwaltliche Verantwortung im Angesicht der ökologischen Krise
Der Leitfaden des CNB betont die enorme Dringlichkeit: Angesichts der planetaren Krisen – Klimawandel (changement climatique), Biodiversitätsverlust (perte de biodiversité) und Verschmutzung (pollutions) – können Recht und Justiz entscheidende Werkzeuge für den Wandel sein. Der französische Anwalt erhält damit eine zentrale Rolle nicht nur als Begleiter und Berater von Unternehmen, sondern auch als engagierter Verteidiger gemeinsamer Umweltgüter (biens communs environnementaux).
Ein bedeutender Schwerpunkt liegt auf der Ausbildung (formation): Obwohl das französische Universitätsangebot im Umweltrecht inzwischen breit ist, mangelt es an integrierter Basisausbildung an den Anwaltschulen. Ein „Umweltreflex“ (réflexe environnemental) sollte nach Ansicht des CNB künftig schon im Grundstudium verankert werden – nicht zuletzt, um die anwaltliche Qualifikation im Umweltrecht (droit de l'environnement) und verwandten ESG-Fragen (environnemental, social et de gouvernance) zu stärken.
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Neue Aufgabenfelder: Compliance, Beratung und Zertifizierung
Die Zeiten, in denen Anwälte in Frankreich fast ausschließlich im Gerichtsprozess agierten, sind vorbei. Immer häufiger werden sie in der Prävention (prévention) tätig, beraten Unternehmen zu nachhaltiger Geschäftspraxis und übernehmen spezielle Aufgaben als Compliance-Prüfer (auditeur de conformité) oder als externe, unabhängige Zertifizierer von Nachhaltigkeitsberichten (certificateur).
Insbesondere die Umsetzung und Überwachung von Unternehmenskodizes, Risikokartierungen (cartographies des risques) und internen Richtlinien sind dabei zentrale Arbeitsfelder. Bei Abweichungen helfen Anwälte zudem, Maßnahmenpläne zu entwickeln und als Vermittler im Dialog mit Behörden aufzutreten.
Hervorzuheben ist, dass die anwaltliche Unterstützung nicht mehr nur reaktiv, sondern, durch die Begleitung von Compliance-Audits, zunehmend präventiv gestaltet wird. Sie zielt auf rechtliche und Reputationssicherheit, eine effektive Umsetzung freiwilliger und gesetzlicher Umweltverpflichtungen und die Schaffung nachhaltiger Strukturen in Unternehmen.
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Anwalt als strategischer Akteur
Das CNB hebt die wachsende Bedeutung von Umweltprozessen (contentieux environnementaux) hervor, wie prominente Fälle – etwa der Tankerunfall Erika, die Entscheidung zur kommunalen Umweltklage in Grande-Synthe oder Klagen zur Sorgfaltspflicht (devoir de vigilance) – belegen. Insbesondere die Anerkennung des Umweltinteresses durch Gerichte und die Stärkung von Umweltrechten im Code civil (Art. 1246) und im Rahmen internationaler Vorgaben (u. a. durch das Gutachten des internationalen Gerichtshofs vom 23. Juli 2025) zeigen, wie sehr sich das Aufgabenfeld gewandelt hat.
Anwälte in Frankreich haben zudem die Möglichkeit, auf vielfältige Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (procédures d'urgence) zurückzugreifen, zum Beispiel das zivilrechtliche Eilverfahren (référé civil) oder den umweltrechtlichen strafrechtlichen Eilrechtsschutz (référé pénal environnemental), um schnelle Maßnahmen zugunsten des Umweltschutzes durchzusetzen. Ergänzend steht das Mittel der vorrangigen Frage der Verfassungsmäßigkeit (question prioritaire de constitutionnalité, QPC) zur Verfügung, mit welchem geklärt werden kann, ob Gesetze mit Verfassungsgrundsätzen (und damit auch mit der Umweltschutzcharta) im Einklang stehen.
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Ethische und berufsrechtliche Entwicklung: Die Verantwortung des Anwalts in der Kanzlei
Nicht zuletzt wird auch die eigene ökologische Verantwortung (responsabilité sociétale des cabinets d’avocats, RSCA) der Kanzleien betont. Zwar ist der Umweltschutz bisher noch kein ausdrückliches Standesprinzip, aber eine freiwillige Nachhaltigkeitsstrategie und die Reflexion über ressourcenschonende Arbeitsweisen werden dringend empfohlen.
Die vom CNB entwickelte „Charta des verantwortungsvollen Anwalts“ (charte de l’avocat citoyen responsable) sowie Tools zur Selbstevaluation geben allen Kanzleien, unabhängig von ihrer Größe, praktische Hilfen zur Umsetzung und Verbesserung, insbesondere im Bereich des Diversity Managements und des Umweltschutzes.
Praktische Maßnahmen reichen vom Papiersparen und digitaler Aktenführung bis zur Reduzierung von Dienstreisen, Umstieg auf CO2-arme IT-Infrastruktur und bewusstem Energieverbrauch. Damit etabliert sich der Anwalt als gesellschaftlicher Akteur, der die Transformation aktiv und sichtbar mitgestaltet.
Fundstelle: Conseil national des barreaux, „La part de l’avocat dans la préservation et l’amélioration de l’environnement“, 12. September 2025.
Sollten Sie französische Anwälte im Umweltrecht suchen, sind Sie bei uns an der richtigen Stelle. Vereinbaren Sie gerne einen ersten Beratungstermin mit Bérénice Alisch.
08.10.2025